Oft wurde ich nach Kraftliederabenden oder -seminaren nach einer ‹Erinnerungs-CD› gefragt. Dies brachte mich dazu, anfangs Januar 2004 an einem Wochenende zwanzig singfreudige Männer und Frauen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis einzuladen. Viele kannten sich vorher nicht – die Lieder waren für einige neu. In zweimal vier Stunden übten wir über zwanzig Lieder ein und sangen sie sogleich für die Aufnahme. An zwei weiteren Samstagen lud ich kleinere Gruppen ins Studio nach Konstanz, wo wir auf gleiche Weise nochmals Lieder aufnahmen. Den Rest der Lieder spielte ich im Studio allein (mit Overdubbing) oder zusammen mit meinem Partner Matthias Gerber ein.
Zum Singen dieser Lieder
Besonders schön und wirkungsvoll ist es, wenn die Lieder in einem Kreis möglichst auswendig (by heart) gesungen werden und in der Mitte ein bequemes ‹Bett› bereit steht. Dies lädt dazu ein, in die Schwingungskraft des Liedes hineinzuliegen.
Ein Lied bekommt von Anfang an eine grössere Kraft, wenn die Singenden etwas über den Inhalt des Liedes wissen. Der Text wird im Voraus langsam vorgesprochen oder wenn nötig auf grossen Blättern aufgeschrieben und zum anfänglichen Üben in die Mitte gelegt. Beispiele solcher grosser Liedblätter finden sich auf der Übungs-CD, auf dem CD-Rom-Track unter «Liederblätter». Ich singe möglichst nie mit persönlichen Notenblättern, weil dies das innere Erspüren der Lieder und das Aufeinanderhören einschränkt.
Nach einer allfälligen kleinen Übungsphase ist es gut, den Inhalt des Liedes noch einmal in Erinnerung zu rufen, bevor man ohne Liederblätter aus der Stille heraus beginnt zu singen. Häufiges Wiederholen erlaubt dem Lied, seine Seele mehr und mehr zu entfalten, so dass die Singenden seine Kraft spüren. Im Anschluss des Gesangs ist es sinnvoll, der Stille des Liedes zu lauschen. Oft wird in dieser Stille die Kraft, der Geist des Liedes auf vertieftere Art erlebbar.
Es wichtig darauf zu achten, Frauen und Männer auf alle Stimmen zu verteilen (ausser bei Chorsätzen mit klar zugeordneten Stimmen). Wenn die Stimmen nicht zu weit auseinanderliegen, gewinnt das Lied an Dichte.
Zu den Liedern und ihrem Hintergrund
Ich wählte Lieblingslieder aus, die meist nicht so leicht zu finden sind auf andern CD’s. Am Ende des Booklets gebe ich einige Hinweise auf weitere ergiebige Quellen von Kraftliedern. Auf der CD singen wir die Lieder wesentlich kürzer als an Singanlässen, damit wir möglichst viele Lieder aufnehmen konnten. An einem offenen Kraftliedersingen wurde ein afrikanisches Lied für die Erde mal fast eine Stunde lang gesungen, weil es einfach passte. Das häufige Wiederholen und die meist einfachen Worte und Silben von Chants helfen, sich ganz und ohne Anstrengung der Musik hinzugeben.
In vielen Kulturen werden die Lieder mündlich weitergegeben. Daher gibt es oft verschiedene Versionen desselben Liedes und auch keine eindeutige Schreibweise oder Übersetzung der Liedtexte. Auf dem Weg zu uns hierher erfahren die Lieder oft Veränderungen. Ich gebe jeweils an, woher ich das Lied kenne (z.T. mündliche Überlieferung). Wir haben die Lieder so gut wie möglich recherchiert. Für alle näheren, auch korrigierenden Hinweise bin ich sehr dankbar.
Was die Schreibweise der Texte anbelangt, halten wir uns so nahe am Original wie möglich, aber in einer der Aussprache am nächsten kommenden Version.
Oft ist es schwierig oder unmöglich, die Lieder ganz authentisch zu singen, man denke z.B. an indischen Gesang. Wichtig ist uns jedoch, dass wir die Kraftlieder mit Dankbarkeit gegenüber der Ursprungskultur singen und dass wir der ‹Medizinkraft›, die jedes Lied mit sich bringt, Raum geben, sie wahrnehmen und ehren. Es ist wichtig, ernsthaft und so gut wie möglich zu recherchieren; letztlich aber ist uns wichtiger, die Kraft des Liedes singend zu erfahren.
Kraftlieder und spirituelle Chants
In allen ursprünglichen Kulturen und in den meisten Religionen und spirituellen Praktiken spielen Lieder eine zentrale Rolle. Oft sind sie gewissermassen gesungene Gebete. Sie dienen als Brücken zum Kontakt mit der unsichtbaren Welt, mit der Schöpfungskraft, mit Göttinnen und Göttern, guten Geistern, AhnInnen, Krafttieren oder den Kräften der Natur. In den meisten Kulturen sind sie wesentlicher Bestandteil von Festen, Feiern und Ritualen. Das gemeinsame Singen verbindet die Menschen miteinander und stärkt die Gemeinschaft.
Lieder werden gesungen bei allen wichtigen Lebensübergängen, bei der Geburt, zur Initiation ins Erwachsenenalter, bei Hochzeiten und Trauerfeiern. Viele erzählen Geschichten des Volkes oder unterstützen Heilungsrituale.
Viele Chants und Kraftlieder sind rhythmisch, andere berührende, tragende Melodien, und wieder andere bewegen sich auf ein oder zwei Tönen, wie z.B. das indische Om, islamische Anrufungen oder Gesänge christlicher Liturgie.
Mögen die hier gesungenen Lieder aus verschiedensten Traditionen beitragen, zu erkennen, dass das letzte Geheimnis, das Göttliche, auch wenn es verschieden benannt wird, für alle Menschen auf dieser Erde dasselbe ist! Dies ist eine Haltung, die auch von namhaften spirituellen Bewegungen vertreten wird, wie dem tibetischen Buddhismus um Dalai Lama und der Sufibewegung im Westen.
Wirkungen des Singens von Kraftliedern und Chants
Ich stelle fest, dass jedes Lied beim Singen und in der Stille danach eine einzigartige Medizinkraft mit sich bringt. Die einen umgeben das Herz mit Weite und Leichtigkeit, andere zentrieren, bringen Ruhe und Vertrauen oder geben warme Hände und ein Gefühl der Gemeinschaft, schenken Lebensfreude oder geben ein aufrechtes Körpergefühl. Mir fällt auf, dass ich bei einigen Liedern immer dieselbe Kraft erlebe. Beim eigenen Erforschen dieser Schwingungskraft und ihrer Wirkung auf Körper, Seele und Geist kann sich jede/r eine individuelle ‹Lieder-Apotheke› zusammenstellen.
Chants sind ein besonderer Weg, um Atem, Herzschlag, Gefühl und Absicht zu integrieren. Die vielen Wiederholungen helfen auf natürliche Art, tiefer, langsamer und rhythmischer zu atmen. Das Singen erzeugt Klangvibrationen im Körperinnern; es ist, als würden wir von innen her massiert. Die Gehirnwellen verändern sich und unterstützen Entspannung und kreatives Bewusstsein.
Zeitgenössische Medizinforschung zeigt, dass das Singen von Kraftliedern und andere Formen von Vokalisation das Immunsystem stärken (durch Abnahme der Konzentration von Kortisol und bestimmten Antikörpern), die Zellen mit Sauerstoff versorgen, den Blutdruck und die Pulsfrequenz senken, die Lymphzirkulation anregen, den Anteil des Melatonin (ein gesundheitsförderndes Hormon) erhöhen, Stress bewirkende Hormone verringern, Endomorphine (natürliche Schmerzlinderer) freisetzen und die Produktion von Interleukin-1 (ein Protein, das in Verbindung mit der Blutproduktion steht) anregen.
Es gibt Forschungen, in denen verschiedenste Krankheiten mit dem Singen gelindert oder geheilt werden können. Eigene berührende Erfahrungen habe ich mit PatientInnen mit Brustkrebs, Herzbeschwerden, Depressionen, Sinnkrisen, Demenzerkrankungen, Essstörungen, Hyperaktivität und mit Personen, die sich von einer Operation oder einem Trauma erholen. Das Singen von Kraftliedern, Vokalen und Obertönen massiert die inneren Körper-Landschaften und bringt die eigene Seelenkraft stärker zum Leuchten.
Karin Jana Beck