Saravá - Hintergrundinfos zum Projekt

Im Folgenden die Eingangstexte des Herausgebers Matthias Gerber und der drei beteiligten Singfrauen:

May the songs rise to meet you!
Matthias Gerber


Vor drei Jahren haben Karin Jana Beck und ich die Doppel-CD SiyaBonga mit über sechzig Kraft- und Volksliedern herausgegeben. Es ging uns in erster Linie darum, singfreudigen Menschen schöne, nicht allzu bekannte Lieder aus verschiedenen Kulturen zugänglich zu machen. Wir empfanden SiyaBonga primär als „sinnvolles Liederbuch“, als Unterstützung, diese Lieder für sich oder mit andern zu singen – und weniger als CDs zum Hören und zum Mitsingen.

Wir waren dann überrascht vom enorm positiven Echo auf diese einfachen Aufnahmen, die weit weg von jeglicher Perfektion sind. Es freute uns, dass die Singfreude, die wir mit dem Ad-hoc-Chor bei den Aufnahmen hatten, auch zu den Hörenden rübersprang. Wir staunten über die vielen Feedbacks und unerwarteten Wirkungen des kleinen Werks: Es ermutigte viele, wieder mehr zu singen, ob allein oder in Gruppen, in der Familie, in WGs, in der Schule, beim Kochen, in freier Natur, an Festen und Ritualen, in Seminaren und auf Tagungen. SiyaBonga-Lieder wirken – nach vielen Rückmeldungen – ausgleichend, beruhigend und belebend zugleich, begleiten Menschen auf ihrem Arbeitsweg, dienen als Hintergrundchor zum eigenen Singen, auch mal länger mit der Repeat-Taste, und haben sogar gute Dienste geleistet im Stall, wo sich die Kühe leichter melken liessen. Dass die Musik auch vielen Kindern sehr gefällt, freut uns besonders.

So hoffen wir denn, dass auch das neue Werk, Saravá – neben dem Geschenk der fünfzig Lieder zum SelberSingen – wieder viel Freude bereitet, und wir sind gespannt auf die Rückmeldungen diesmal. Saravá ist ein afrobrasilianischer Segensgruss. Mit Saravá werden die göttlichen Kräfte in Ritualen angerufen, mit uns Menschen zu sein und uns zu unterstützen in unserem Leben. Möge die Götterfamilie mit all ihren männlichen und weiblichen Gottheiten auch dieses neue Liederkind wohlwollend begleiten. Saravá!

Das Besondere an Saravá ist, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist – von drei Sängerinnen und Singanleiterinnen mit ihren Ad-hoc-Chören. Alle Choraufnahmen wurden an Wochenenden im März 07 gemacht. Es war schön zu wissen, dass an andern Orten auch für dasselbe Projekt gesungen wurde – und wir drückten einander die Daumen! Später nahmen die drei Frauen im Trio noch drei von ihnen selbst geschaffene Seelenlieder auf. In Saravá fliessen auf spannende Weise verschiedene Hintergründe mit ein, von Ariane Rufino dos Santos der starke Bezug zur afrobrasilianischen Musik und Spiritualität, von Barbara Mordasini Voser die nährende Kraft der indianischen Kultur und der grossen Trommel, von Karin Jana Beck das tiefe Interesse an ursprünglichen Liedern aus verschiedenen Kulturen. Beim Hören der Lieder und beim Lesen der persönlichen Texte lassen sich bestimmt noch weitere Eigenarten, Unterschiedlichkeiten und Ähnlichkeiten bei den drei beteiligten Frauen und ihren Ad-hoc-Chören erahnen.

Doch das Gemeinschaftsprojekt endet nicht an unseren Schweizer Grenzen. Auch in der Slowakei war zur selben Zeit die Musikethnologin Jana Beli?ová unterwegs und nahm Roma(Zigeuner)-Kinder beim Singen ihrer Lieder auf, für ein Liederbuch- und CD-Projekt, das erst mit der finanziellen Unterstützung durch die Verkäufe von SiyaBonga zustande kam. So geht auch bei Saravá wieder ein fester Betrag pro verkauftes Exemplar an das Romamusikprojekt in der Slowakei, das zum Ziel hat, diese schönen, ursprünglichen Romalieder zu bewahren.

Das Booklet enthält diesmal viele anregende Zitate zum Singen und zu Musik. Grafisch wird es belebt von ‚Steinmandli’-Fotos. Das Erschaffen solcher Steinskulpturen ist für Karin Jana und mich eine Art Beten für innere und äussere Balance. Die Geschenke bei dieser künstlerischen Betätigung sind ähnlich wie beim Kraftliedersingen: Naturverbundenheit, Zentrierung, schöpferische Kraft, Selbstvergessenheit, innere Ruhe und ein angenehmes Gefühl von Zeitlosigkeit und Einverstanden-Sein. Möge uns das feine, verletzliche Gleichgewicht der Steine die Schönheit der Vergänglichkeit und die Vergänglichkeit der Schönheit lehren.


Heilende Stimme
Karin Jana Beck


Musik und Gesang begleiteten mich schon immer in meinem Leben. Als Kind hörte ich gerne Radio und erfand zu Jodel- und Schlagerliedern zweite Stimmen. Später bekam ich viele Jahre klassischen Klavierunterricht. Als ich dann meinen jetzigen Mann kennenlernte, der Folkgeiger ist, war für mich die Entdeckung des Akkordeons ein Genuss. Endlich konnte ich mit anderen zusammenspielen. Die beseelte Musik vom Volk aus verschiedenen Ländern gefiel mir sehr. Wenn ich den natürlichen Stimmen auf den Originalaufnahmen zuhörte, berührte mich deren Wahrhaftigkeit jenseits von Stimmnormen - Stimmen, die stark mit der Seele und dem Herzen verbunden sind, und Lieder, die der Einzigartigkeit von Menschen und ihrer Kultur Ausdruck geben.

Auf der Spur der Verbindung von Stimme und Seele - die so nah voneinander liegen - entdeckte ich neben Folkliedern die Kraft von spirituellen Gesängen und Ritualliedern. Da wurde mir so richtig bewusst, dass jedes Lied eine eigene Kraft und eine eigene Medizin mit sich bringt. Mich begannen auch alte, naturnahe Traditionen (z.B. Saamen in Lappland, einige afrikanische Stämme, Mongolei ...) zu interessieren, in denen die Leute eigene Seelen- und Kraftlieder für sich selbst, für Kinder und sogar für Landschaften finden.

Inspiriert von vielen ursprünglichen Kulturen und deren Heilgesangstraditionen begab ich mich auf den Weg der ‚Heilenden Stimme’. Erlebnisse mit verschiedenen (Heil-)GesangslehrerInnen, das eigene Forschen und die Rolle als Sängerin und Musikerin in vielen Ritualen bereicherten meinen Zugang zur beseelten Stimme. Ich entdecke in der Verbindung von Stimme, Körper, Seele und Spiritualität immer wieder grosse Heilkraft. In meiner Arbeit verstehe ich mich als Dienerin und Hebamme der Stimme, die sich frei ausdrücken will. In der ‚Heilenden Stimme’ kristallisierten sich im Lauf der Zeit drei Schwerpunkte heraus:
Kraft- und Seelenlieder (traditionelle und eigene), welche Raum bieten, um aufzutanken und sich an die Quelle zu erinnern
TransformationsGesang, wo die Weisheit der Stimme Wege zeigt, wie Blockiertes oder Erstarrtes wieder in Fluss kommt
Dialogischer Gesang, wo es möglich wird, dem Lied, das in allen Dingen schläft, eine Stimme zu geben. Das kann hilfreich sein, um z.B. Botschaften der Seele oder von Körperteilen zu verstehen, sich auf medizinische Eingriffe vorzubereiten, Medikamente wirksamer und verträglicher zu machen, um nur einige Möglichkeiten zu skizzieren.
Der Obertongesang kann in all diesen Gebieten die Wirkung verstärken.

Ich öffne gerne Räume, die einladen, der Weisheit der eigenen Stimme zu folgen. Diese Arten von Singen, ob allein oder in der Gruppe, empfinde ich als Beten, das für mich zugleich eine sinnlich-singlich-politische Dimension hat. Beim gemeinsamen Singen im Kreis potenziert sich diese Kraft. Dabei müssen sich die Menschen vorher nicht einmal kennen. Es entsteht eine Verbundenheit ohne Worte, und Qualitäten wie Gemeinschaft, Lebensfreude, Achtsamkeit und Respekt werden erlebbar und gestärkt. Ich bin immer wieder fasziniert von der heilenden, integrierenden, friedenspolitischen Kraft dieser Art des Singens.

Das Singen von Liedern aus verschiedenen Kulturen lässt meine Seele in andere Länder und deren Stimmungen reisen. Dabei finde ich immer wieder Teile, die mir - trotz der äusseren Fremdheit - vertraut sind und tief in mir anklingen. Gleichzeitig stelle ich fest, dass ich beim Singen von Schweizer Kraftliedern – besonders beim Naturjodel - auch meine Heimatwurzeln auf neue, nährende Art spüre. So stärkt das gemeinsame Singen sowohl die eigenen Wurzeln als auch das Gefühl, WeltenbürgerIn und Teil der Natur zu sein.


Sing deinen Traum – träume dein Lied
Barbara Mordasini Voser


Mit jedem Ton, dem Klang unseres Herzens, berühren und gestalten wir unsere Welt. Wir weben unseren Traum des Lebens. Singen ist klingender Atem - Atmen ist Geben und Nehmen. Das Geheimnis des Klangs liegt für mich zwischen dem Ein- und Ausatmen. Es ist der Moment der absoluten Stille, ein Raum, der neue Welten erschliesst, in dem ich meine Verbundenheit spüre. Die Töne werden beseelt. Es ist der Moment des „es singt“, in dem Heilung geschehen kann. Sind wir bereit, das Lied des Universums zu hören, und nehmen es singend auf, findet das Ein- und Ausatmen zwischen dem Innen und dem Aussen statt. Wir sind im Gespräch mit dem Universum.

In meiner Arbeit ist es mir ein Anliegen, dass die Menschen Zugang und Vertrauen in ihre Stimme entwickeln, ihre Lebensmelodie aus der Tiefe, dem Verborgenen hervorholen können. Klangmeditationen, experimentelles Tun, zeremonielles Singen und Trommeln helfen, diesen Zugang wieder aufzubauen und daraus Kraft für den Alltag zu schöpfen oder bestimmte Themen anzugehen.

Die heilenden Klänge der Trommel und des Gesangs führen mich in meiner Arbeit. Es ist eine Entdeckungsreise, die ich für Gruppen und für Einzelpersonen anbiete. Die Vibration der Trommel und die Schwingung des Gesangs führen zu einer tiefen Entspannung. Blockaden, Schmerzen, hinderliche Lebensmuster kommen in Bewegung, und die heilende Energie kann auf wundersame Weise fliessen und aufgenommen werden.
Viele Jahre habe ich mit klassischem Gesang verbracht. Diese Erfahrungen und das Wissen aus dieser Zeit bringe ich in meine Arbeitsweise ein. Die Techniken des klassischen Gesangs helfen, die „Bauchkraft“ und damit die Energie des Lieds zu stärken. Verbindet sich die „Bauchkraft“ verschiedener Menschen, ergibt sich daraus ein wundervoller Energiestrom, der nährend ist.

Ich bin Mutter von drei Kindern und arbeite zudem in unserem Familienunternehmen aktiv mit. Diese Erfahrungen sind ein wichtiger Teil meines Sing- und Trommelwegs. Sie zeigen mir, dass der Weg der Alltag ist und ich immer wieder gefordert bin, mich diesem zu stellen.

Durch meinen Mann bin ich in Kontakt mit indianischen Liedern und der grossen Rahmentrommel gekommen. Bei Beatrice Rosenberger habe ich indianische wie auch Lieder aus verschiedenen Religionen und spirituellen Traditionen gelernt. Der Lebenstanz, eine jährlich stattfindende Zeremonie, Qi Gong und Tai Ji sowie verschiedene Weiterbildungen, im Besonderen bei Dhyani Ywahoo, haben mich auf der Reise zum Geheimnis des Klangs begleitet.

Die grosse indianische Trommel erinnert an den Herzschlag der Mutter Erde. Die Trommel symbolisiert das weibliche, der Trommelschläger das männliche Prinzip. Es ist wichtig, die Balance zwischen weiblich und männlich herzustellen. Dabei geht es um die Balance in jedem Einzelnen von uns, es geht um die Verbindung und Stärkung der Kraft der Frauen und der Männer unter sich und um das gemeinsame Trommeln und Singen des Lieds des Universums, denn: die Verbindung zwischen Himmel und Erde geschieht durch uns Menschen.


Wer Herz und Stimme hat, kann singen
Ariane Rufino dos Santos


Meine musikalische Initiation lief wie bei den meisten Kindern zuallererst über Singen und Blockflötenspiel. Mein Vater spielte seit seiner Jugendzeit Trompete in einer Dixielandband, ich hörte zu Hause viel Musik und erhielt als Elfjährige Klavierunterricht. Knappe vier Jahre hielt ich durch, immerhin genug, um eine gründliche Basis zu schaffen und Partituren lesen zu können. Mit zwanzig zog es mich zum Altsaxofon, das ich mir selber beibrachte. Kaum beherrschte ich alle Griffe, spielte ich schon in einer Band, deren wilde, oft improvisierte Musik Blues, Rock und Jazz mixte. Wir spielten aus Lebensfreude und aus Protest, und das Singen war Mittel zum Zweck, die politische Botschaft der Befreiung von alten Zwängen zu vermitteln. Dazu lernte ich bei einem afrikanischen Meister trommeln und begann, Rhythmen in mich aufzunehmen.

Ende Siebzigerjahre unternahm ich mit einem Sopransaxofon im Gepäck eine lange Reise auf der Suche nach einer musikalischen Heimat. Sie führte mich nach Brasilien. In Rio de Janeiro traf ich auf ein paar frei improvisierende, experimentierfreudige Musiker, die eigene Musik jenseits aller Kategorien komponierten, und schloss mich ihnen an.

Während der sechs Jahre, die ich in Brasilien lebte, drehte sich fast alles um Musik. Ich spielte in wechselnden Formationen und Stilen und konnte parallel dazu die faszinierende Stimm- und Sprachentwicklung meiner kleinen Tochter begleiten. Der Rhythmus wurde zur Leitplanke in der Musik, doch was ich wirklich entdeckte in Brasilien, war meine Stimme. Denn in Brasilien gehört Singen und Tanzen zur menschlichen Grundausstattung, zum Lebensgefühl wie Reis und Bohnen zur Ernährung. Überall, wo Leute sich zusammenfinden, an der Bar, am Strand, in einem Hinterhof, an einer Geburtstagsparty, überall wird gesungen, getanzt und gespielt. Wenn keine Instrumente vorhanden sind, wird die Streichholzschachtel zur Kleinstrassel, eine Schachtel zur Trommel, eine Flasche zur Glocke. Ein grosses Liedergut verbindet die Menschen, die eine unverdorbene, natürliche Musikalität besitzen und fröhlich ihre Stimme brauchen, auch wenn es mal falsch tönt. Was zählt, ist dabei zu sein und mitzuschwingen im Gefühlsbad, das zum Verständnis der brasilianischen Wesensart ein wichtiger Schlüssel ist. Konzerte bekannter Sängerinnen sind ein grosses Erlebnis: Eine unüberblickbare Menge huldigt der Schönheit des Augenblicks, und die Lieder werden oft von allen Anwesenden mitgesungen, was eine unbeschreibliche kollektive Emotion hervorbringt.

Durch meine brasilianische Schwiegermutter lernte ich den Umbandakult aus der Nähe kennen, eine spirituelle Praxis, die auf afrikanische Wurzeln zurückgeht. Ich ging mit an Feste, und die für mich völlig neue Art, göttliche Kräfte zu ehren, zog mich stark in ihren Bann. Ich lernte unzählige Lieder und singe sie seither immer wieder und bei vielen Gelegenheiten.

Singen ist für mich seither immer wichtiger geworden. Singen gibt mir Geborgenheit, Sicherheit, Trost, innere Schönheit sowie Verbindung mit allen Wesen. Noch stärker als beim Musizieren mit einem Instrument ist Singen direkter Ausdruck der Gefühlslage des Herzens. Singend erreiche ich die Herzen der Menschen, und das ist ein sehr beglückendes Gefühl. Die Stimme zu erheben, ist kraftvoll und nährend, im Kreis von Menschen eine Quelle des Glücks.